Handwerker

Der Name sagt alles! - Hier gibt es das Neueste vom Neuen aus unserer Feder, wenn es auch alles noch aus dem letzten Jahrtausend ist... - Die jüngsten Kinder sind häufig genug auch des Schriftstellers liebste, weil beste, also: Enjoy!

Moderatoren: admin, twoflower, nils

Benutzeravatar
admin
Administrator
Beiträge: 197
Registriert: 01.12.2003, 01:39
Kontaktdaten:

Handwerker

Beitragvon admin » 02.12.2003, 01:02

Etwas strich Ihr über das Gesicht und holte sie langsam aus dem Reich der Träume.
"Mmmmmh....?" - fragte sie.
Jemand zwickte ihr in die Nase. "Geh weg, Carlos! - Mach' dir dein Hundefutter selber auf!"
Sie hörte ein tiefes, dröhnendes Kichern, welches definitiv nicht ihrem Hund gehörte. Ihr fiel plötzlich ein, daß ihr Hund Carlos vor über zehn Jahren gestorben war, und auch als er noch unter den Lebenden weilte, hatte er nur sehr, sehr selten gekichert. Es handelte sich also definitiv um einen falschen Alarm. Sie lächelte, die Augen immer noch geschlossen und drehte sich auf die andere Seite. Was auch immer man in der ersten Nacht in einem neuen Haus träumt, soll ja bekanntlich in Erfüllung gehen, und sie hatte noch einige dringende Erfüllungen zu träumen.
Wieder kniff Ihr jemand in die Nase.
"Wissense, mein Fräulein, sie sollten sich in dieser Jahreszeit dringend wärmer kleiden. Außerdem weiß man ja nie, wer plötzlich im Zimmer steht, nich' wahr?"
Sie öffnete vorsichtig die Augen. Drei ältere Männer in Arbeitskleidung standen breit grinsend in ihrem Schlafzimmer.
"Firma Fenster Henning", erklärte der, der sie in die Nase gezwickt hatte. "Wir hätten sie ja gerne schlafen lassen, aber wenn sie so vor dem Fenster liegen, kommen wir da ganz schlecht ran. Außerdem lenkt das den Lehrling ab, sie wissen schon..."
Ein schleimig-zweideutiges Blinzeln dieser Art ist am frühen Morgen einfach zuviel, stellte sie fest. Sie wickelte sich in ihre Decke, rieb sich kurz den Schlaf aus den Augen und schwang sich aus dem Bett.
"Dann werde ich mal Kaffee kochen gehen", erklärte sie, bemüht die Haltung zu bewahren und drängte sich zwischen den immer noch grinsenden Handwerkern vorbei.
"Is' noch welcher in der Kanne", wurde ihr hinterher gerufen. "Wir war'n so frei..."
Na, die fühlen sich ja auch wie Zuhause, murmelte sie und stapfte in die Küche. Der Kaffee war nur noch lauwarm, aber dafür stark und während sie ihr Frühstück einnahm, begann der Tag langsam in ihr Bewußtsein zu sickern,.
"...Das ist auch eine Art geweckt zu werden - drei Unbekannte in seinem Schlafzimmer anzutreffen", sagte sie halblaut zu sich selbst.
"Ich verstehe das", sagte der Küchentisch, "einmal hatte ich verschlafen, da haben sie das Selbe mit mir gemacht!"
Erschrocken sprang sie auf.
"Drei Wochen habe ich gebraucht, um wieder ruhig einschlafen zu können!" - Unter dem Küchentisch krabbelte ein mitfühlender Klempner hervor, ein Stück ihrer Wand unter dem Arm. "Aber wissen sie: das Leben geht weiter!" - Aufmunternd klopfte er ihr auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. "Ich werde noch einige meiner Kollegen holen müssen. So einfach läßt sich ihre Waschmaschine leider nicht anschließen. Sie sollten sich übrigens was überziehen - sie holen sich bei diesem Wetter sonst noch den Tod!"

Verwirrt verblieb sie in der Küche und überlegte, was der Klempner wohl anschließen wollte - ihre Waschmaschine war immer noch bei einer Freundin im Keller untergestellt. Na, kein Wunder, daß der Anschluß Probleme bereitete. Sie beschloß, die Decke, die sie immer noch um den Leib geschlungen hatte, durch anständige Kleidung zu ersetzen und machte sich auf, einige Sachen aus ihrem Schrank zu holen.
Weit kam sie nicht. Eine Leiter versperrte ihr den Weg. So weit sie das überblicken konnte, wurde sie von niemandem gehalten, zumindest niemandem in Sichtweite. Die Leiter reichte von der Haustür bis zur Terrassentür. Irgend jemand mußte sie natürlich halten - Leitern schweben schließlich nicht einfach in der Luft und zwischen den Presslufthammer-Geräuschen aus ihrem Schlafzimmer hörte sie immer wieder die Schreie zweier Menschen, die einander Navigationsanweisungen an den Kopf warfen, die in der Praxis offensichtlich nicht ausführbar waren. Eine Stimme kam von der Terrasse, die andere aus dem Vordergarten.
Dachdecker, vermutete sie.
Dachdecker tauchen manchmal einfach auf, decken etwas, und verschwinden wieder. Wenn sie irgendwo eine Baustelle entdeckt hatten, waren sie nicht mehr zu halten. Der Gedanke, daß ihr Haus auf Handwerker schon die Anziehungskraft einer Großbaustelle hatte, zwang sie zur Eile. Sie krabbelte unter der Leiter durch, drängte in ihr Schlafzimmer, schlug lang hin, weil jemand einen Sack Zement in den Weg gestellt hatte und landete weich in ihrer Wäsche. Die Herren von Fenster Henning hatten den Schrank umgekippt, um sich ihre neue Designer-Deckenlampe etwas genauer anzusehen.
"Sie verstehen sicher - die Leiter scheint im Flur steckengeblieben zu sein... - War die Lampe sehr teuer?"
"Sehr", stammelte sie, wohl wissend, daß das gute Stück keine größeren Überlebenschancen hatte.
Ein Ende der Leiter, die eben noch im Flur steckte, kam aus Gründen, die nur in der Neogeographie zu finden sein dürften, hinter ihr durch die Tür. Eine Stimme brüllte "Vorsicht!", die Handwerker duckten sich und die Leiter zerschlug die Lampe.
"Ein Jammer", meinte einer der Fenster Henninge.

Tief durchatmen.
Sie krabbelte mit ihren Sachen zurück in den Flur und wäre ins Bad gestürmt, wenn es nicht abgeschlossen wäre. Mit viel Schwung knallte sie gegen die Tür.
"Bin gleich soweit", erklang eine Stimme aus dem Bad.
Die Tür tat sich auf und ein weiterer Handwerker, mit dreckigen Gummistiefeln ausgerüstet, begrüßte sie. "Eine originelle Idee, eine so große Wanne installieren zu lassen", behauptete er. "Das sie unbedingt mit Schlamm gefüllt sein soll, finde ich zwar etwas merkwürdig, aber ich vermute, daß der Vorname Kur zu sowas verpflichtet, nicht wahr, Frau Bad?"
Entsetzt betrachtete sie das neu installierte Moorbad, das jetzt ihre ehemalige Naßzelle ausfüllte.
"Würden sie mir glauben, wenn ich ihnen sagte, daß mein Name nicht Kurbad ist, und sie sich eventuell in der Adresse geirrt haben", erklärte sie so ruhig, wie sie eben noch konnte.
Sie ließ den verwirrten Handwerker einfach stehen, und zog sich in die relative Ruhe ihres neuen Moorbads zurück, um den Handwerker in Ruhe seine Papiere vergleichen zu lassen.
Nicht übel, so ein Moorbad, stellte sie fest, nur nicht gerade der ideale Platz, um sich in Ruhe anzuziehen. Trotzdem tat sie ihr bestes und kam nach einigen Minuten, nur leicht verschlammt, aber endlich angezogen, wieder aus dem Bad. Der Installateur stand immer noch vor der Tür und studierte angestrengt die Lieferpapiere.
Er bewegte die Lippen beim Lesen! - Sie verdrehte die Augen. Das erklärte einiges.
"Geben sie mal her", erklärte sie und nahm dem Mann die Dokumente ab. "Sehen sie: richtige Strasse, falscher Ort! - Das Moorbad hätte nach Plön geliefert werden sollen!"
"Plön, hm?" - Verwirrt starrte er sie an. "Wie komme ich denn von hier nach Plön?"
"Woher soll ich das wissen", erklärte sie, und sah sich geistesabwesend um.
Die Leiter steckte mittlerweile quer in ihrem Flur und Schlafzimmer. Einige verwirrte Herren im Blaumann zerrten mal hier, mal dort, nur um festzustellen, daß die Leiter sich nicht mehr vom Fleck zu rühren schien.
Sie ging zurück in die Küche.

Die Küche war dunkel und es zog. Offenbar hatte jemand die Fenster entfernt und Bretter vor das Loch in der Wand genagelt. Schöner wohnen.
Der Klempner, der vorhin unter dem Küchentisch lag, stand plötzlich hinter ihr.
"Ah! Da sind sie ja wieder! - Es war beileibe nicht einfach, aber sehen sie sich mal mein Meisterwerk an", strahlte er.
Er betätigte den Lichtschalter. Sofort sprangen einige farbig beschienene Fontänen an, und setzten ihre Küche unter Wasser. Dazu lief Händels Wassermusik.
"Die Kassette können sie natürlich austauschen!"
"Nicht schlecht", gab sie zu, und fing an, sich darüber Gedanken zu machen, in welchem Restaurant sie heute Abend essen würde. Immerhin könnte sie jetzt in der Küche ihre Wäsche waschen.

Es klingelte an der Tür. Drei Herren mit weißen Kitteln, dicken Brillengläsern und nachlässiger Körperhygiene standen mit einigen Computern beladen vor der Tür.
"Wir sind hier, um die Leiter wieder loszubekommen", brüllten sie, Händel und Presslufthammer übertönend. Sie ließ sie herein. Ein paar Leute mehr oder weniger im Haus würden jetzt auch nichts mehr ausmachen. Hinter den Weißkitteln drängte sich noch ein weiterer Mann mit einer Schubkarre herein.
"Und wo wollen sie hin?"
"Ich bringe den Bauschutt!"
"Ach, ja?"
"Sie haben doch neue Fenster bestellt, oder?"
Zögernd nickte sie, wohl wissend, daß sie bei dieser Diskussion wohl wieder den Kürzeren ziehen würde.
"Sehen sie? - Und wer neue Fenster ordert, der bekommt eine Ladung Bauschutt gratis dazu! Toller Service, nicht wahr?" - sprach es, und drängte sich an ihr vorbei.

Die Weißkittel hatten ihre Computer aufgebaut, und forderten sie auf, näher zu kommen.
"Sehen sie sich das mal an", erklärten sie, und deuteten strahlend auf einige Zahlenkolonnen, die über den Bildschirm ratterten.
"Die Leiter kann gar nicht mehr entfernt werden! - Sie steckt fest!"
Sie starrte verblüfft auf das verkanntete Holzgebilde - wenn sie nicht diese Experten da gehabt hätte, wäre ihr das wahrscheinlich nicht aufgefallen!
"Der einzige Weg, die Leiter wieder herauszubekommen, führt über den Keller. Wir haben den Sprengmeister schon bestellt!"
Den Keller? - "Ich habe keinen Ke..." - Die Explosion war laut - sehr laut!

Schweißgebadet wachte sie auf. Ihr Puls raste und ihr Atem ging heftig. Sie sah sich um.
Puh! - Alles nur ein übler Traum!
Sie wickelte sich ihre Bettdecke um und ging in die Küche um sich Frühstück zu machen. Es war ein wunderschöner Tag, die Sonne schien durch das Fenster, und schnell hatte sie den Traum verdrängt.
Gerade als sie fertig mit frühstücken war, klingelte es an der Tür.
Gut gelaunt öffnete sie.

"Fenster Henning, guten Morgen! Tut mir leid, daß wir uns etwas verspätet haben", erklärte einer der Handwerker. Er kniff ihr in die Nase.
"Wissense, mein Fräulein, sie sollten sich in dieser Jahreszeit dringend wärmer kleiden! - Außerdem weiß man ja auch nie, wer plötzlich im Zimmer steht, nich' wahr?"


(c) nils (zAphod) of hlvs-publications, 14-11-1998

Zurück zu „Neues (aus dem letzten Jahrtausend)“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast