Fading Away

Pats Teil unserer populären FIREWALL!-Edition mit Kurzgeschichten. Sehr populär, also könnte es fast gut sein! =O) Überzeuge Dich einfach selbst! Gesamtauflage der Print-Ausgabe: etwa 100 Stück

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Fading Away

Beitragvon admin » 02.12.2003, 00:24

Undurchsichtiger Nebel durchflutete die Nacht und ließ ihn die nähere Umgebung nur schemenhaft erkennen. Weit über ihm durchdrang nur das fahle Licht des Mondes den Nebel und verschaffte ihm eine leicht bessere Orientierung.
Viel war nicht zu erkennen. Es war eine Nacht in der selbst die Tiere es verabscheuten Geräusche zu machen und so blieb nur das monotone Geräusch des leichten Windes, der er ab und zu über die Baumwipfel strich.
Er hatte sich im Wald verlaufen, stellte er fest. Er hatte sich auf einer Lichtung niedergelassen und wollte an diesem schönen Sommertag den Sonnenuntergang geniessen. Doch als er aus einer kurzen Meditation erwachte, war es Nacht geworden und er war allein - Verloren im nirgendwo, gefangen in einem Traum, aus dem es kein Erwachen gab. Er setzte sich auf einen Baumstumpf und blinzelte in die verschwommene Umgebung.
Das Licht des Mondes ließ ihn gerade noch seine Hände erkennen, mehr war er nicht in der Lage zu sehen.
Er erinnerte sich an seine Jugend. Damals, als kleiner Junge erblindete seine Großmutter aufgrund einer schweren Krankheit. Er hatte damals an ihrem Bett gesessen und versucht ihr klarzumachen, daß er ihr von nun an immer vorlesen und ihr ihre Umgebung erklären wird. Seine Großmutter hatte gelächelt und ihm den Kopf gestreichelt. Er hatte sich nicht vorstellen können, wie es ist, blind zu sein.
Es hatte bis zum heutigen Abend gedauert, bis er auch nur einen ungefähren Eindruck bekam, wie es ist, seine Umwelt nicht mehr optisch wahrnehmen zu können.
Er saß da in seiner dünnen Sommerkleidung und begriff das erste Mal, daß das Leben auch ohne ihn weitergehen wird. Es spielte keine größere Rolle, ob er hier nun festsaß, oder nicht. Die meisten Lebewesen würden ihr ganzes Leben lang keine Notiz von ihm nehmen, selbst wenn sie ihn irgendwann irgendwo anrempelten, würde er in den Erinnerungen des Remplers kaum mehr als eine schemenhaften Gestalt sein.
Womöglich saßen genau in diesem Augenblick unweit von ihm sämtliche Tiere des Waldes zusammen und sahen ihm hochamüsiert beim Grübeln zu. Vielleicht konnten die Tiere ja sogar glasklar durch den Nebel sehen und fragten sich, warum er nicht endlich nach Hause ginge. Bei diesen Gedanken wurde ihm etwas mulmig.
Wahrscheinlich befanden sie sich hinter dem Nebelschleier und warteten auf eine Reaktion. Jede seiner Bewegungen musste ihnen vorkommen, als wären sie von jemandem, der kaum in der Lage war, ohne Hilfe aufrecht zu stehen. Sie würden ihm zusehen, wie er fast blind durch den Wald tastete und wahrscheinlich würden sie ihn auslachen und ihn einer minderwertigen Spezies zuordnen.
Doch noch saß er auf seinem Baumstumpf und tat nichts, außer etwas im Nebel zu suchen, auf das er sich konzentrieren konnte, etwas, was sich von diesem weißen Schleier unterschied, aber er fand nichts. Es blieb alles, wie es war.
Für einen kurzen Moment war er nicht mehr. Er verschmolz mit dem Nichts, daß er als seine Umgebung ausmachte, zu einem Ganzen. Seine Sinne lösten sich von seinem Körper und sein Geist verschmolz mit dem Nebel. Für einen Augenblick verlor sein bisheriges Leben, seine Existenz, an Wichtigkeit und er ergab sich dem kühlen, feuchten Nebel. Alles, was er jemals war oder dachte war mit einem Mal weg und alles war nur noch Nebel und Unendlichkeit.
Er konnte den Zweck des Ganzen nicht sehen. Er vergaß, daß es ein Morgen geben würde, er vergaß, daß dies nur ein kurzer Augenblick in seinem Leben war, er gab sich einfach dem Augenblick hin. Sein Denken, seine Hoffnungen, alles reduzierten sich auf die Erwartung der nächsten Sekunde, auf den nächsten Augenblick, den er weiter im Nebel aufgehen würde.
Plötzlich fühlte er sich allein und unvollkommen. Zweifel stiegen in ihm auf. War er überhaupt noch am Leben? Hatte er überhaupt jemals gelebt? - Er wußte es nicht mehr.
Er stellte sich vor, wie sich der Nebel teilte und eine helle Kerze ihm einen Weg weisen würde. Dann würde er als neuer Mensch die Lichtung verlassen und Teil eines ganz neuen, bewußteren Lebens werden.
Plötzlich wurde ihm bewußt, wer und was er wirklich war, ganz ohne Anmaßung oder Eitelkeit. Er wußte, wo er wirklich hingehörte und begann bereits, sich im Geiste Notizen zu machen, über Dinge, die er unbedingt erledigen wollte.
Wenn er doch bloß mit jemandem reden könnte! - Er freute sich bereits darauf, einer vertrauten Stimme von seinem Erlebnis erzählen zu können.
Ihn durchfuhr eine ganz neue Art von Heiterkeit und Freude am Leben. Das er sich je so fühlen würde, hätte er in seinem verängstigten Zustand noch vor einigen Minuten nicht zu träumen gewagt.
Er stand auf und suchte tanzend den Weg nach Hause.
Sollen sie doch über ihn lachen, wenn er vom heutigen Abend erzählt. Sein Lachen würde lauter sein und länger anhalten. Wer zuletzt noch lacht, kennt sich einfach besser aus!

© by Twoflower / h.l.v.s 1997

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