Feldpost #69: Das Leben in vollen Zügen genießen

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Feldpost #69: Das Leben in vollen Zügen genießen

Beitragvon admin » 03.12.2003, 00:35

Die Zeit, die mir fehlt, diese Feldpost zu schreiben, wo mag die wohl jetzt sein?

- Auf den Gleisen der Deutschen Bahn!

Ich weiss das, weil ich in letzter Zeit leider, leider und haeufiger das Leben in vollen Zuegen [sic! - Fuer kurze Zeit war das tatsaechlich mal Werbespruch der Bahn!] genossen habe, oder vielmehr nicht, denn Zugfahren ist bloede, und ich wuensche mir doch gelegentlich das wieder zurueck, was das Finanzamt bei der letzten steuerlichen Einstufung eine Dreckschleuder bezeichnet hat, also meinen kleinen Kuebel, denn die Bahn, das ist ein Haufen schlampig organisierter Unbequemlichkeit!

Fahr' doch mit dem Wochenendticket, sagten sie...

Lasst mich bloss an Land mit dem Wochenendticket, denn die Nutzung desselben bedeutet die Konfrontation mit dem Grauen im nachkriegsdeutschen Verkehrswesen, der Regionalbahn!

Regionalbahn ist, wenn viele Menschen sich auf so wenig Raum treffen, dass sie nicht einmal den Spiegelartikel ueber ueble Transporte eingepferchter Schlachttiere lesen koennen, weil das bedeutete, die Zeitung aufblaettern zu muessen, was man aber nur sehr selten tun kann, denn die Sitze in besagter Regionalbahn sind so konzipiert, dass bequem vier Fuenftklaessler darin sitzen koennen - und da sagen die Leute immer, es wird zuwenig fuer die Jugend getan... - aber fuer mich ist das mit dem Hinsetzen schon etwas schwieriger, denn zwei Erwachsene Menschen koennen auf den Baenken wirklich nur - wenn ueberhaupt - sehr verkrampft nebeneinander sitzen.

Wenn dazu noch jemand darauf besteht, mir gegenueber Platz zu nehmen, dann muss ich mich leider damit abfinden, dass betreffende Person permanent die Haende auf meinen Knien hat, was seinen Grund nicht in bundesdeutschem abnormalen Paarungsverhalten hat, sondern vielmehr darin, dass auch eine noch so hoefliche Person seine Haende letztlich *irgendwo* lassen muss!

Wenn man sich also halbwegs nicht mit den Sitzen abgefunden hat, laesst einen der Lokfuehrer wissen, das er viel lieber Flugkapitaen geworden waere und begruesst einen im Namen seiner Crew an Bord des altersschwachen Zuges, der in den naechsten 23 Stunden eine Strecke von 24 Kilometern zuruecklegen wird. Oder so.

Was ich diskret andeutet moechte, ist, dass ein Regionalexpress in jedem Kuhdorf haelt, und deswegen einfach nicht vom Fleck kommt. Das kann man ja wiederum niemandem vorwerfen, denn darum heisst es ja Bimmelbahn (=Lautsprache - geschrieben wird das 'Regional Express'), was da schon schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass diese Zuege chronisch unpuenktlich sind, was nicht gerade von Vorteil ist, wenn man die gesamte Schoenheit der Republik fuer nur DM 35.- das Wochenende erkunden moechte...

Leider ist man dann naemlich darauf angewiesen, einigermassen puenktlich an Orten den Zug zu wechseln, die man nicht kennt, und die man auch nicht wiedersehen moechte, was - so vermute ich in Anbetracht meiner ueblen Laune, wenn ich an eben solchen Orten den Zug verlasse - wohl auf Gegenseitigkeit beruht...

Diese Orte gilt es erst einmal zu erkennen, und dank Verspaetungen und ungenuegender Beschilderung der Bahnhoefe (ich sehe hier mal von der Erwaehnung der winterlichen Dunkelheit ab), darf man sich hauptsaechlich auf Weibliche Intuition(tm) verlassen, um den richtigen Umsteigebahnhof zu finden, was aber auch nicht weiter stoert, denn der Anschlusszug ist sowieso schon weg und der computergenerierte Fahrplan, nach dem man sich gerade richtet, ist fuer alle Tage des Jahres ausgerichtet, ausser diesem natuerlich, aber das macht gar nichts, mein Herr, denn morgen frueh faehrt schon der naechste Zug in die selbe Richtung, bitte schoen!

Nix ist hier mit 'bitte schoen'! - rief da der Feldpostler, gefangen in eben solcher Situation, und plusterte sich ebenso beeindruckend, wie ihn selbst ueberraschend, auf - ich will in die Grosse Stadt, und das heute noch, Scherge!

Die entrechtete Menge ohne Anschlusszug stand voll hinter mir, und das nicht nur im uebertragenden Sinne, und ich merkte, dass die ersten sich schon nach Dingen umsahen, die sie als Brennende Fackel(tm) missbrauchen koennten, denn es gehoert zu den ungeschriebenen Gesetzen dieser Welt, dass ein Wuetender Mob(tm), der was auf sich haelt, mit Brennenden Fackeln(tm) ausgestattet zu sein hat!

Ich staunte nicht schlecht ueber mich selbst, denn ich bin normal gar nicht gut darin - im Wuetendsein meine ich, nicht im Staunen, das geht eigentlich ganz prima - aber mein polemisches Plaedoyer schien die gewuenschte Wirkung zu erzielen: Der veraengstigte Buettel griff nach seinem Roten Telefon[sic!] und tuschelte laengere Zeit mit anderen Bahnwesenheiten.

Nach einiger Zeit legte er den Hoerer wieder auf und murmelte etwas wie "Ticket-Upgrade fuer alle Geschaedigten"!

Die Menge war sprachlos, der Mob war ploetzlich keiner mehr, ich kam nur leicht verspaetet und komfortabler als mit der Bummelbahn heim in die Grosse Stadt, und der rote Faden, den ich - wirklich! - am Anfang der Geschichte noch hatte, ist mit einem Mal verschwunden.

Naja, vielleicht habe ich ihn ja in der Bahn liegenlassen...

Egal. Geniesse das volle Leben, lieber Leser! - Aber besser nicht in vollen Zuegen...

Gruesse aus der Grossen Stadt,

yours

nils


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