Penicillin

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Penicillin

Beitragvon admin » 02.12.2003, 00:59

Mein Lieblingsonkel starb nach zweitägigem Krankenhausaufenthalt am 11. Dezember 1997 an Nierenversagen, verursacht durch Prostatakrebs, der sich zu diesem Zeitpunkt in seinem ganzen Unterleib und Bauchraum ausgebreitet hatte.

"Er hat nicht lange leiden müssen", sagte meine Tante, und ich versuche mich damit zu trösten. Es hilft nicht. Trauer ist für mich eine ganz neue Erfahrung, dazu noch eine, mit der ich mich Wohl oder Übel, noch häufiger in meinem Leben befassen muß. Am Schwierigsten ist es, einem Menschen, der einem Nahe steht, beim Sterben zuzusehen und auf seinen Tod warten zu müssen, hin und her gerissen zwischen dem Willen nach Leben und fast vollendeten Tatsachen, dem Wunsch nach einem Wunder und der Hilflosigkeit gegenüber dem Unabwendbaren.

Beim Fernsehen blieb ich für einige Sekunden in einem der dritten Programme hängen. Gezeigt wurde eine Reportage über eine medizinische Station irgendwo im tiefsten Afrika. Eine neue Seuche war dort ausgebrochen und ein britischer Arzt stand inmitten eines Lazaretts der Weltgesundheitsorganisation, in dem mehr als die Hälfte der Körper, die dort lagen, schon mit einem Laken bedeckt waren und der abgemagerte und kränkelnde Rest der Menschen dem Tod sehr nahe war. Der Arzt sah geschafft und angegriffen aus, überwältigt von seiner Hilflosigkeit und gezeichnet von Spuren der Erschöpfung, die sein unermüdlicher Dienst in seinem Gesicht hinterlassen hatte.
Eine viel zu routinierte Reporterin, blind für menschliche Schicksale, fragte ihn, wie die Arbeit denn voran ginge und auf welche Weise er versucht, die Seuche zu bekämpfen. Der Arzt schluckte schwer und sein Blick schweifte über die siechenden und toten Menschen, ehe er mit sehr leiser Stimme und gesenktem Blick antwortete: "Wenn man einmal gesehen hat, wie Penicillin wirkt, dann verschreibt man es immer wieder..."
Dann sah er sie mit dem traurigsten und verzweifelten Gesicht an, daß ich je bei einem Menschen gesehen habe und der Reporterin blieben ihre weiteren Fragen im Halse stecken. Das ganze menschliche Wissen und Können stand in einer langen, schweren Stille verzweifelt und hilflos dem übermächtigen Schicksal gegenüber. Der Augenblick dehnte sich ins Unendliche.

Eine Krankenschwester rief nach ihm und ein Ruck ging durch den Doktor. Er wandte seinen Blick langsam ab und sah sich nach der Schwester um, die gerade verzweifelt versuchte, einen von Schmerzen geschüttelten Mann zu beruhigen. Nur ein ganz kurzes Zögern verriet, was in ihm vorging.
Er ging mit schweren Schritten zu dem Sterbenden, redete beruhigend auf ihn ein und gab ihm noch etwas Penicillin.

Was hätte er auch sonst tun sollen?


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