Storchenbiß

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Storchenbiß

Beitragvon admin » 02.12.2003, 00:33

Für Anne.

Nach seiner ersten Sechs-Tage-Woche machte der Schöpfer erstmal Urlaub in Italien. Er hatte eine wunderbare Zeit, in der er, dank der guten italienischen Küche, mehrere Kilo zunahm und sich ein paar edle Designerschuhe zulegte. Gott war ausgezeichneter Laune, bis ihm am letzten Tag seines Aufenthalts sein Auto geklaut wurde.
Verständlicherweise war er sehr wütend, um so mehr als sich herausstellte, daß der ADAC ihm, trotz Euroschutzbrief, keinen Mietwagen zur Verfügung stellen wollte und er den ganzen Weg nach Hause per Anhalter fahren mußte. In seiner Wut beschloß er die Verantwortlichen zu geißeln und sie in ein kleines Kuhdorf im Norden Deutschlands zu verbannen, in dem Fortpflanzung von da an nur noch innerhalb der Familie möglich war. Er erbaute das größte Inzuchtgebiet Nordeuropas.
Gott schuf Appen.


Die Zeiten hatten sich geändert. Noch immer hießen die meisten Bewohner des Dorfes ‘Pein’ mit Nachnamen, aber die westliche Kultur hatte mittlerweile doch Zugang gefunden. Viele Fremde hatten sich jetzt in Appen niedergelassen, und sie wurden nicht mehr mit Wackersteinen wieder davongejagt, aus Angst der männlichen Dorfbewohner, daß die Fremden ihnen ihre Schwestern, Frauen oder Mütter (die häufig genug ein und dieselbe Person waren) ausspannten. Der Grund dafür war traurig: Die Appener starben aus, weil die Störche nicht mehr kamen.

Die Störche hatten Appen seit seines Entstehens die Treue gehalten.
Waren die Gründungsväter Appens noch gottlose Autodiebe, so hatte sich schnell ein fester Glaube in das Wunder der Fruchtbarkeit manifestiert, der Berge versetzte: Appens Frauen vermochten nur noch schwanger zu werden, wenn sie von einem Storch ins Bein gebissen worden waren. Natürlich gehörte weiterhin ein schweinisch-biologisches Ritual dazu, welches hier nicht näher erläutert werden soll, ohne Storchenbiß kam es aber leider in keinem Fall zu einer Schwangerschaft!

Appens Störche wurden aus diesem Grund seit Ewigkeiten gehegt und gepflegt. - Ihr Überleben sicherte das des Dorfes und brachte ihnen beinahe den Status von heiligen Tieren ein.
Wie sich das Blatt wendete, daß ist eine tragische Geschichte, die an dieser Stelle erzählt werden soll...


Bauer Pein musterte das Storchennest kritisch von seinem Küchenfenster aus. Er hatte wirklich alles getan, was in seiner Kraft stand, damit die Störche es möglichst schön hätten, wenn sie aus den Winterferien wiederkamen. Er verstand nicht sonderlich viel von Ferien. Er hatte zwar letztes Jahr im Herbst einen freien Tag gehabt, daß aber auch nur, weil er sich beide Beine gebrochen hatte bei dem Versuch seinen liegengebliebenen Traktor eigenhändig nach Hause zu ziehen (was im übrigen auch ausgezeichnet geklappt hätte, wenn die Straße nicht mit einem mal steil bergab gegangen wäre...). Vom Urlaub in fremden Ländern konnte Bauer Pein sich kein Bild machen, da er in seinem ganzen Leben nie über die Ortsgrenzen hinausgekommen ist, er glaubte aber instinktiv zu wissen, daß die Störche nicht zufällig immer wieder nach Appen kamen. Ein gut gepflegtes Storchennest war ihnen sicher wichtig.
Pein goß sich noch einen Becher Kaffee ein und setzte sich an den Küchentisch um nocheinmal seine Liste durchzugehen: Der lange Eichenpfahl auf dem das Nest ruhte war von Moos befreit, die Umgebung des Nestes war gereinigt und sein Traktor hatte einen neuen Auspuff, damit der Lärm die Störche nicht verschreckt. Er hatte ein gutes Gefühl. Die Störche würden dieses Jahr bestimmt wiederkommen.


Einige Tage später, es war einer der ersten, sonnigen Apriltage, war es endlich soweit.
Bauer Pein kam gerade mit einer Ladung Heu auf den Hof gefahren. Erst sah er die Menschentraube, die sich auf seinem Hof gebildet hatte, dann als er hochsah, bemerkte er, daß das Nest nicht mehr leer war. Zwei wunderschöne Störche hatten sich niedergelassen und waren eifrig damit beschäftigt, den Zustand des Nestes zu überprüfen.


Pein stellte seinen Traktor ab und gesellte sich zu den anderen Appenern. Alle starrten verzückt zu dem Nest hinauf und murmelten: "Alles wird gut".
Sie lachten und alberten, leise, damit die Störche sich nicht gestört fühlten, und schmiedeten Pläne für die Zukunft, wie sie in einigen Jahren ihren Hof besser bewirtschaften würden, wenn die neuegezeugte Magd oder Knecht erst alt genug sein würde, um mit anzupacken.
Pein trat hinter seine Frau und legte einen Arm um ihre ausladenden Hüften.
"Wir werden endlich ein Kind bekommen, Frau", sagte er so zärtlich, wie es seine tiefe, knarrende Stimme eben zuließ und seine Frau, die eigentlich ihre besten Jahren schon hinter sich gelassen hatte, kicherte wie ein kleines Mädchen und versuchte ein zartes Erröten in ihr volles Gesicht zu zaubern, was ihr auch gelang (und bei ihrem sowieso schon von Bluthochdruck gerötetem Gesicht beinahe an Hexerei grenzte).


Kein Mensch hat sich je gefragt, warum Störche Menschen in die Beine beissen. Wenn diese Störche befragt würden, so gäben sie sicher an, daß sie immer etwas gereizt sind, wenn sie nachts kein Auge zubekommen - So wie in dieser Nacht.
Der Geräuschpegel war in dieser Nacht in Appen sehr hoch. In jedem Bauernhaus waren die Gardinen und Vorhänge vorgezogen und die lauten Geräusche ihrer Bewohner ließen die Störche keine Minute schlafen.
Der Nachteil an Flügeln ist, daß sich an ihren Enden keine Finger befinden, die man sich in die Ohren stecken könnte. Störche haben zwar auch keine richtigen Ohren, aber das ist eine andere Problematik...


Als Bauer Pein am nächsten Morgen aufgestanden war und in die Küche kam, traf er seine Frau mitten in den Vorbereitungen für ein großzügiges Frühstück an. Er ging zu ihr hinüber, umarmte sie und drückte ihr einen flüchtigen Kuß auf die Wange, bevor er sich an den Tisch setzte.
Frau Pein drehte sich zu ihm um und blinzelte verschwörerisch: "Pein, nach letzter Nacht weiß ich gar nicht, warum du im Haus leben darfst und die Schweine nicht! - Du wilder, starker Mann, du!"
"Die Frage ist leicht beantwortet: Aus mir kann man keine gute Leberwurst machen, Frau! Also gehöre ich nicht zu den Schweinen."
Frau Pein kicherte daraufhin derart stark, daß der Bauer sich fragte, ob in der vergangenen Nacht irgend etwas mit einer Leberwurst vorgefallen war, an das er sich jetzt nicht mehr erinnern konnte. Er kam zu keinem Schluß und beschloß deswegen, daß er sich jetzt besser seinem Frühstück widmen sollte.
"Sag mal, Frau, die Schrippe hier sieht aber merkwürdig aus!" - Er nahm besagtes Brötchen mit spitzen Fingern und in sicherem Abstand genauer in Augenschein.
Wieder kicherte Frau Pein (und der Bauer beschloß, daß er keine Kinder mehr wollte, wenn dieser Zustand immer mit der Zeugung einherginge) bevor sie antwortete: "Das ist eine französische Spezialität, hat der Bäcker ganz neu im Angebot. Es heißt Kreussäng."
"Kreussäng, hm? - Fehlt Salz", erklärte er mit vollem Mund.


Am späten Nachmittag hatte sich ein Großteil der Familie Pein (und somit fast alle Ur-Appener) auf Peins Hof versammelt, der den besten Blick auf das Storchennest bot. Die Frauen hatten allesamt halblange Hosen an und versuchten nicht allzu flehentlich zum Nest aufzublicken, ob der Storch denn nun anstalten machen würde, sie zu beissen. Sie unterhielten sich die ganze Zeit in leisem Ton untereinander, kicherten dabei immer wieder und sahen zwischendurch immer wieder zu ihren Männern hinüber. Diese waren mittlerweile ziemlich betrunken, weil sie meinten, daß sie dieses Gekicher keinen Moment mehr nüchtern ertragen konnten. Schon gegen Mittag hatten sie sich in Peins Gasthof (geleitet von Bauer Peins Schwager und Tante in einer Person - diese Tatsache mag an dieser Stelle Anlaß zu Spekulationen bieten, kann aber leider nicht in einigen wenigen Worten aufgeklärt werden) die älteren Appener auf ein Bierchen getroffen, während schräg gegenüber, im Schlemmertreff (geleitet von Bauer Peins Onkel und Schwägerin in einer Person - auch die Erklärung hierfür würde den Rahmen dieser Erzählung sprengen) die jüngere Generation sich zu einem Frusttrinken getroffen hatte. Erst um vier Uhr hatten sie sich dann auf der Straße getroffen um gemeinsam den Weg zu Peins Hof anzutreten. Aufgrund ihres umnebelten Zustands hatten sie für die recht kurze Strecke doch beinahe eine Stunde gebraucht.
Kaum angekommen scharten sie sich auch schon um ein großes Bierfaß, welches Bauer Pein in weiser Voraussicht schon vor einigen Wochen gekauft und kühlgestellt hatte.


Gerade als das Bier endlich in angemessener Geschwindigkeit floß und die Appener Männer sich, benebelt durch den Alkohol, wieder zu ihren Frauen verirrt hatten aber trotzdem immer noch an deren Gekicher Anstoß nahmen, hörten sie den Storch das erste mal Klappern.

Das Paarungsverhalten der Störche ist für Menschen sehr interessant. Für Störche, insbesondere für den männlichen Storch, ist es sehr anstrengend. Die Störche stehen in ihrem Nest und Frau Storch tut möglichst unbeteiligt und desinteressiert. Herr Storch nutzt sein dekoratives, schwarz-weißes Gefieder dazu, sich als Orchestermusiker auszugeben und umklappert Frau Storch. Frau Storch läßt sich viel Zeit, bevor sie diese Versuche ihre Aufmerksamkeit zu erregen überhaupt zur Kenntnis nimmt, und tut eine Weile so, als hätte sie überhaupt nichts für ein ausgefeiltes Percussion-Solo übrig, doch spätestens, wenn Herr Storch zu einem Medley aus den besten Percussion-Soli der Rock-Geschichte ausholt, gibt sie sich einen Ruck und wirft ihm den einen oder anderen schüchternen Blick zu.
Herr Storch fühlt sich selbst durch diese zartesten Andeutungen von Interesse hochgradig bestätigt und geht richtig ran. Er massiert ihr mit dem Schnabel den Nacken, was bei Störchen einige Zeit dauert, da sie so extrem viel Nacken haben, und dieser in einem zugigen Storchennest natürlich chronisch verspannt ist.
Frau Storch wird bei dieser Behandlung regelmäßig weich und gibt nach einiger Zeit den eindeutigen Angeboten ihres Umwerbers nach, ihre beiden Kloaken aneinander zu pressen.
Störche verbringen den Winter im Süden, wo sie meistens Kultururlaub machen. Zum Leidwesen der männlichen Störche steht im Leben einer jeden Störchin mindestens einmal ein prägender Indien-Urlaub an. Danach bestehen die weiblichen Störche grundsätzlich darauf, daß ihr Sexualleben ein wenig mehr Pep vertragen könnte und sie nur noch nach dem Kamasutra kopulieren möchte. Die männlichen Störche finden das anstrengender als die weiblichen, da sie es sind, die in diesem Fall wirklich arbeiten müssen.
So auch hier. Frau Storch steht lasziv im Nest und wartet darauf, daß Herr Storch sich auf die Zehenspitzen stellt und, so balancierend, seine Kloake auf ihre preßt.
Herr Storch hat sich schon häufig bei seiner Partnerin darüber beschwert, daß die körperliche Anstrengung des Vorspiels hier in keinem Verhältnis zur Freude des eigentlichen Akt stehen, aber Frau Storch ist unerbittlich und beschimpft ihn jedesmal als Chauvi wenn die Sprache wieder auf dieses Thema kommt.


Gebannt hatten die Appener den Akt verfolgt.
Die Versammlung zerstreute sich langsam, als herauskam, daß beide Störche nun wohl nicht mehr in der Stimmung waren, das Nest zu verlassen und einige Frauen ins Bein zu beissen. Zuletzt blieben nur noch Bauer Pein und seine Frau zurück, die noch eine Weile gedankenverloren die Störche betrachteten, bis die Abenddämmerung es ihnen unmöglich machte, mehr als einige verschwommene Schatten oben im Nest zu erkennen.
Arm in Arm schritten sie zurück zum Haus. Bevor sie einschliefen murmelte Frau Pein, schon halb im Schlaf, "Ich hoffe, daß er mich dieses Jahr beissen wird"
Bauer Pein zog ihr die Decke noch ein Stück höher und strich ihr mit seinen plumpen Fingern zärtlich die Haare aus dem Gesicht.
Bevor auch er die Augen schloß, murmelte er noch: "Das wird er, bestimmt!"


Das Unglück geschah, nachdem die Störche schon einige Wochen in Appen waren.
Die Größe der täglichen Versammlungen auf Peins Hof hatte stark nachgelassen. Die meiste Zeit war außer Bauer Pein und seiner Frau kein anderer Appener mehr dabei. Alle schienen zu glauben, daß die Störche momentan noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt seien, um irgend jemanden zu beissen, aber insbesondere Frau Pein gab die Hoffnung auf baldiges Mutterglück nicht so schnell auf.

Eines Nachmittags beobachteten sie wieder einmal, wie Herr Storch mutig in luftiger Höhe versuchte, den indischen Erwartungen seiner Partnerin zu entsprechen.
"Ganz schön windig, heute", bemerkte Bauer Pein lakonisch.
Frau Pein zupfte ihre kurze Hose, die sie immer noch trug und die nun schon nicht mehr ganz sauber aussah zurecht, und sah dann zum Nest hoch. Die Störche schienen bei ihrem Paarungsversuch echte Probleme mit dem Gleichgewicht zu haben.
"Wenn jetzt noch eine starke Böe kommt, dann wird er noch in die...-" - Ein starker Windstoß suchte sich genau diesen Moment um den Storch gründlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wiedereinmal zeigten sich die deutlichen Nachteile, die man ohne Finger hat: Der Storch hatte Probleme sich festzuhalten, rutschte von seiner Frau und fing sich dann im letzten Moment noch am Nestrand.
Beide Störche hatten schreckgeweitete Knopfaugen und der männliche Storch ruderte wie verrückt mit den Flügeln. Die Peins hielten den Atem an. Der Storch schien sich wieder gefangen zu haben. Er versuchte einen Fuß zurück ins Nest zu bringen, schien sich dabei aber leicht zu verheddern. Wieder taumelte er leicht, bis eine weitere Böe ihn packte und vollends aus dem Nest in die Luft wirbelte. Er schien leichte Orientierungsschwierigkeiten zu haben. Er war von einer stabilen Flugbahn weit entfernt, um so mehr, als er nach einigen Luftsalti mit einem lauten ´Platsch´ in Bauer Peins Jauchegrube landete.
Frau Storch und Bauer Pein und Frau ließen lautstark die angehaltene Luft entweichen.
"Scheiße", sagte Frau Pein laut.
"Das kannst du aber laut sagen", dachte sich Frau Storch.


"Steckt er fest?"
"Fester geht es nicht."
"Nur gut, daß er so lange Beine hat!"
"Ach, Weib, ich glaube nicht, daß ihn das sonderlich aufmuntert. Schließlich steht ihm die Scheiße trotzdem bis zum Hals!"
"Und was tun wir jetzt?"
"Ich werde mir etwas überlegen. Du solltest inzwischen einige Frösche fangen, damit der Arme nicht verhungert." - Bauer Pein hatte einen Arm in die Seite gestemmt und zupfte sich mit der anderen Hand an einigen Bartstoppeln. Nachdenken war nicht gerade eine der Stärken der Ur-Appener. Jahre der Inzucht hatten nur noch die einfachsten Gehirnwindungen in den Köpfen übrig gelassen: Trinken, Essen, das Feld bestellen und fortpflanzen (in etwa dieser Reihenfolge).
Schnell bemerkte Bauer Pein, daß seine Frau sich nicht von der Stelle gerührt hatte.
"Worauf wartest du denn noch?"
"Nun... -", stammelte Frau Pein verlegen, "meinst du, ich könnte ihm mal kurz mein Bein rüber halten?"
"Nun denk nicht immer nur an dich! Es geht hier um den Fortbestand des Dorfes!"
Reumütig machte Frau Pein sich auf den Weg zum Dorfteich um Frösche zu fangen.


Die Dunkelheit hatte Appen schon längst umschlossen und die Lage hatte sich eher verschlechtert als verbessert. Der Storch verweigerte schlichtweg jede Nahrungsaufnahme und sah nahezu beleidigt aus, als Frau Pein ihm gedünstete Froschschenkel à la Appen anbot. Die Freiwillige Feuerwehr Appen hatte sowohl die Jauchegrube als auch das Storchennest in grelles Scheinwerferlicht gehüllt. Feuerwehrmänner rannten hektisch durch die Gegend und bellten sinnlose Befehle auch dann noch in ihr Funkgerät, wenn sie einander direkt gegenüber standen. Vor einiger Zeit waren auch noch einige aufgebrachte Neu-Appener mit von der Party, die verzweifelt versuchten, die Feuerwehrmänner auf die brennende Grundschule aufmerksam zu machen. Ihnen wurde keine Beachtung geschenkt. Wenn die Schule brannte, hatte das in ihren Augen den Vorteil, daß die Kinder wenigstens beschäftigt waren und nicht die Storch-Rettungsaktion stören würden.
Abgesehen davon war den Ur-Appenern der Nutzen einer Schule (es sei denn, es handelt sich um eine Baumschule) sowieso nicht klar.
Frau Storch hatte es sich inzwischen im Nest bequem gemacht und schaute dem Treiben interessiert zu.
Auch um drei Uhr nachts waren die Fortschritte eher mäßig: Die Freiwillige Feuerwehr hatte mittlerweile das gemacht, was sie am besten kann, nämlich Schläuche auslegen. Trotz mehrfacher Beteuerungen von Bauer Pein, daß das nicht nötig sei, ließen die Feuerwehrmänner es sich nicht nehmen, das Gemüsebeet zu bewässern. Als Frau Pein aus dem Haus kam und die Bescherung sah, fielen ihr beinahe die frischzubereiteten Mücken-Hors d´œuvre aus der Hand.
"Sehen sie es doch mal so, Frau Pein, das ist die ideale Gelegenheit sich einmal über den Anbau von Reis Gedanken zu machen", versuchte einer der Feuerwehrmänner sie zu trösten.
"Vielen Dank für den Tip", stammelte sie, immer noch fassungslos.
"Oh, keine Ursache! Wenn sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muß noch ein wenig in mein Funkgerät brüllen!"
Frau Pein gesellte sich zu ihrem Mann, der immer noch grübelnd am Rand der stinkenden Brühe saß.
"Ich habe ihm noch ein paar Leckereien gemacht!"
"Zwecklos," seufzte Bauer Pein, "er will nicht essen."
"Aber er wird verhungern, wenn er nichts ißt!"
"Ja-ah..."
"Dann hol ihn doch endlich da raus!" - Frau Pein war jetzt etwas unbeherrscht.
Der Bauer machte ein komisches Gesicht, welches bei denkenden Wesen wahrscheinlich als Moment der Erkenntnis beschrieben würde.
"Das ist es! - Ich hole ihn da raus! Warum sind wir da nicht früher drauf gekommen!" - Kaum ausgesprochen sprang er auch schon todesverachtend in die stinkenden Fluten.


Die Feuerwehrmänner hatten sich um Frau Pein geschart, die versuchte ihnen den Plan zu erklären.
"Einfach rausholen?" - "Genialer Plan!" - "Warum sind wir da nicht schon vorher drauf gekommen?"
Die Niedergeschlagenheit, die noch vor wenigen Augenblicken vorherrschte war jetzt in Euphorie umgeschlagen. Schnell scharten sie sich um die Grube und feuerten Bauer Pein an, der den Storch jetzt fast erreicht hatte. Als er eine Hand nach ihm ausstreckte, wäre sie ihm fast abgehackt worden.
"Was ist los da vorne?" Verlangte jemand aus der zweiten Reihe zu wissen.
"Der Storch hackt nach Pein!"
"Oh, nein!"
"Oh, doch!"
"Was jetzt?" - Die Niedergeschlagenheit war jetzt mit Verstärkung zurückgekehrt.
Alle murmelten leise durcheinander. Frau Pein platzte fast der Kragen.
"Wie wäre es, wenn ihm jemand helfen würde", schrie sie wütend.
"Gute Idee", kam die Antwort.
"Aber wer?"
"Dabei fällt mir ein, daß ich den Herd angelassen habe!"
"Ich auch!"
"Tja, ich springe auch nicht, ich habe meine beste Uniform an!"
Frau Pein hatte die Faxen dicke und sprang ohne weiter zu zögern ihrem Mann hinterher.


Ein bedrückt-wirkender, stinkender Storch stand jetzt umringt von etlichen Leuten auf Bauer Peins Hof und hoffte, es zu überleben, wenn die Feuerwehrleute ihn, wie sie es planten, mit einem Schlauch säuberten.
Bauer Pein stand etwas abseits der Menge und verband seine Frau, die mit entrücktem Gesichtsausdruck auf eine blutende Wunde an ihrem Bein starrte.
"Ich hoffe, du bist endlich zufrieden!"
"Jaaa...", seufzte Frau Pein glücklich.
"Meinst du nicht, daß es unnötig grausam von dir war, dem Storch ein Büschel Schwanzfedern auszureißen?"
"Ich wollte ja nur sicher gehen, daß er mich wirklich beißt", verteidigte sie sich. Sie blickte zu dem Storchennest hoch. Die Störchin war mittlerweile eingeschlafen.
"Hoffentlich wird es ein Junge", grummelte Bauer Pein, "ich brauche eine kräftige Hand, wenn ich den Hof hiernach wieder in Ordnung bringen will..."
"Wasser marsch", tönte es aus Richtung der Feuerwehrleute.


"Aber Störche sind doch Wasservögel, oder etwa nicht?"
"Natürlich! - Aber keine Unterwasservögel, verstehst du?"
Dem Storch ging es überhaupt nicht gut. Nicht nur, daß er beinahe ertrunken wäre, nicht nur, daß der Wasserdruck ihn beinahe an der Wand von Peins Haus verteilt hätte, nein, er mußte dazu auch noch Frau Peins entsetzliche gedünstete Froschschenkel essen.
Gerade, als er sich übergeben wollte, wurde er am Hals gepackt und in Richtung eines Leiterwagens geschleift.
"Wir setzen ihn wieder ins Nest."
"Kann er nicht eben noch schnell meine Frau beissen?"
"Ehrlich, er sieht nicht so aus, als könnte er in seinem momentanen Zustand noch irgend etwas selbstständig tun!"
"Bist du etwa Viehdoktor?"
"Nein, aber in der Schule wurde mir gesagt -"
"Oh, der Herr war in der Schule! Das erklärt natürlich einiges! Wenn..."
Der Storch zog es vor, das Bewußtsein zu verlieren.


Am nächsten Morgen wachte er alleine im Nest auf. Seine Frau war nicht nur kurz zum Supermarkt gegangen. Sie war weg - für immer!
Sie hatte ihm einen Brief hinterlassen: "Ich weiß nicht, was schlimmer ist, dein Menschen- oder dein Jauchegestank! So kann ich nicht weiterleben. Ich fliege zurück zu meiner Mutter!"
Der Storch war sehr traurig.
Ein Windstoß hatte acht Jahre fast-perfekter Ehe ruiniert. Sicher, es war nicht immer einfach, besonder am Anfang, aber nichtsdestotrotz spürte er jetzt eine entsetzliche Leere. Er sah sich um. Sie hatte alle Sachen mitgenommen. Nun gut, dann würde er eben mit leichtem Gepäck fliegen. Der meiste Krempel gehörte sowieso ihr.

Unten, auf dem Hof sah er einige Ur-Appener stehen. Sie sahen sehr besorgt aus und etwas verängstigt aus. Sie taten ihm leid, aber es war Zeit, daß er sein Leben endlich wieder in den Griff bekam, er konnte nicht immer Rücksicht auf andere nehmen. Er rappelte sich auf und streckte die Flügel. Sie schienen, trotz der gestrigen Eskapaden, in Ordnung zu sein.
Er stellte sich an den Rand des Nestes, sah noch einmal hinein und seufzte. Dann winkte er kurz mit einem Flügel den Appenern zu. Sie starrten ihn wie versteinert an. Der Storch zuckte mit den Schultern und schwang sich aus dem Nest. Mit einigen starken Flügelschlägen erreichte er rasch Flughöhe. Er versuchte nicht an sie zu denken, sondern sich statt dessen auf sein neues Flugziel zu konzentrieren. - Paris soll schön sein, um diese Jahreszeit.
Nach wenigen Minuten war der letzte Appener Storch außer Sichtweite.

Neun Monate später brachte Frau Pein einen gesunden Jungen zur Welt und nannte ihn Adebar. Adebar Pein lebte ein glückliches, aber leider kinderloses Leben als Reisbauer, bis im Alter von 79 Jahren mit ihm auch der letzte Ur-Appener starb.


© by zAphod
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