Hngh. Manchmal kann man gar nicht soviel essen, wie man kotzen möchte.

heise online berichtet über das Forum „Public Sector“ des IT-Branchenverbands Bitkom in Berlin, wo der Abgesandte der Bundeskanzlerin, Michael Wettengel, Mitglied der IT-Steuerungsgruppe des Bundes und Zentralabteilungsleiter im  Bundeskanzleramt, Wörter von sich gibt, die sich weigern, Worte zu ergeben[1].

Er fordert – haltet die Luft an! – eine „Ethik im Netz“! Ich wusste nicht, dass das Netz vollkommen unethisch ist, freue mich aber natürlich über den besonderen Schutz durch die Kanzlerin!

Das Internet, so lese ich, dürfe „kein rechtsfreier Raum“ sein! – D’accord, mon ami, aber hat der gute Mann denn noch nicht verstanden, dass im Internet die selben Gesetze gelten, wie im „echten“ Leben? Das das Netz sehr wohl sehr gut reguliert ist? Vielleicht hält er es für besser, Ziele zu definieren, die schon (immer) erreicht sind?

Außerdem soll für die laut Frau von der Leyen vorhandene, übermächtige Bedrohung der Netzbürger durch Kinderpornographie [2] gestoppt werden, und zwar nicht etwa durch Verfolgung der Verursacher, sondern durch eine besonders gewiefte Form der Zensur: ein geheimes Committee ohne parlamentarische Aufsicht sperrt Seiten im Internet – zumindest für Leute, die keinerlei technische Kenntnisse haben, diese einfachen Schranken zu umgehen. Kurz: was wir nicht sehen, ist nicht mehr da, Problem gelöst! Und ganz nebenbei kann noch so einiges mehr gesperrt werden, egal, es wird schon niemandem auffallen, da es ja keine Rechenschaftsberichte, keine Einspruchsrechte und keine Verfahren dazu gibt! Sehr gut, das klingt toll!

Dummerweise ist das sogenannte „Zugangserschwerungsgesetz“ – mit „Z“ wie „Zensur“! – vorerst gestoppt. Vermutlich die einzige gute Sache, die die FDP in dieser Regierung je gemacht hat…

Grundsätzlich müsse die Rolle des Staates in der Online-Welt neu gefasst werden. Beim ersten Boom des Internets Anfang der 1990er seien staatliche Regelungen eher kritisch beäugt worden. Die jüngste Finanzkrise habe aber gezeigt, dass Selbstregulierung ihren Preis habe.

Das klingt interessant. Die unkontrollierten Banken und Fonds verursachen eine weltweite Krise, und daraus lernen wir, dass wir das Netz stärker regulieren müssen? Meine Vorschlag an die Bundesregierung wäre eher, das Netz kennenzulernen, und festzustellen, was es ist, macht, und dass die Regierung(en) schon längst (theoretisch) im Netz angekommen sind, nur noch nicht wissen, wo sie eigentlich sind.

Oh, und: könnten wir dann auch noch die Lehre ziehen, dass Banken stärker reguliert werden sollten? Das wäre doch auch schön, oder?

Wettengel stört sich an den gängigen „Phantasienamen“ in Online-Foren. Normalerweise sei es ein Zeichen von Höflichkeit, dass sich der Bürger „zu sich selbst bekennt“. Er warf die Frage auf, was die „ständige Verwendung“ von Pseudonymen „für Rückwirkungen auf die reale Welt haben wird“.

Och, Mensch. Und hier lernen wir endgültig, dass Herr Wettengel noch nicht weiter als bis zur Seite der BILD im Netz unterwegs war, oder? – Angenommen, Herr Wettengel, sie gehen in eine Kneipe. Ja, ich weiß, aber jetzt mal nur theoretisch. Dort geraten Sie mit anderen Personen an ihrem Tisch ins Gespräch, die behaupten, dass die Bundesregierung keinen Schimmer vom Netz hat. Sie schreiten ein, und erklären, dass einige Regierungsmitglieder sich das Internet letzt sogar ausgedruckt haben, um es zuhause zu studieren, und, und, und. Es ist nur eine Kneipendiskussion, in der sie ihre Meinung vertreten. Sie werden danach nie wieder eine Kneipe aufsuchen, haben sie beschlossen. Aber sie haben, da sie sich „zu sich selbst bekennen“, ihren (echten) Namen an die Wand der Kneipe geschrieben. Hielten Sie das für eine gute Idee? Freuen sie sich auf die folgenden zahlreichen Anrufe und Besuche zu Hause, auf die interessante Post von Leuten, die die Unterhaltung potentiell auf weniger sachliche Art weiterführen wollen?

Im Internet gibt es Leute mit Meinungen zu verschiedenen Fußballteams, Tütensaucenherstellern, Pauschalurlauben, sexuellen Präferenzen und Hobbies  – Die Liste ist lang! Und diesen Menschen wollen sie vorschreiben, ihren echten Namen dafür zu verwenden? Wer sind denn sie, dass sie glauben das verlangen zu können?

Amüsiert hat mich auch die Verwendung des Begriffs „Cyberspace“. Soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Bundesregierung auch die „coolen Ausdrücke“ kennt? – Da sag‘ ich mal: *lol*

Beate Lohmann, Abteilungsleiterin im Bundesinnenministerium, kündigte auf dem Forum „Leitlinien für soziale Netzwerke“ für Behörden an. Bei webbasierten Diensten werde auch in den Verwaltungen oft nur an Twitter und Facebook gedacht. Wichtiger seien aber „interne Dienste für Kommunikation, Kollaboration und Wissensmanagement“.

Wie schön, wie schön. Ich wäre ja zufrieden, wenn ich mal per Telefon in Behörden jemanden erreichen könnte. Und per E-Mail? Das habe ich letzt mal versucht! – Es ging nur um eine einfache Frage. So sah die Antwort aus:

Grundsätzl. Arbeiten wir nicht per mail, zu Ihrer Anfrage müssen Sie sich von einem Notar beraten lassen

Richtig: ohne Anrede, ohne Gruß, dafür mit Abk. für das hässliche, lange Wort „grundsätzlich“ (zwei Zeichen gespart, Respekt!).

Hier meine Buchempfehlungen für die Bundesregierung:

[1] Ja, da gibt es einen Unterschied.

[2] Beweis ausstehend, aber wer gegen Zensur ist, ist ja in ihren Augen für Kindesmisshandlung!