Twoflowers Behördenerfahrung

Pats Teil unserer populären FIREWALL!-Edition mit Kurzgeschichten. Sehr populär, also könnte es fast gut sein! =O) Überzeuge Dich einfach selbst! Gesamtauflage der Print-Ausgabe: etwa 100 Stück

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Twoflowers Behördenerfahrung

Beitragvon admin » 02.12.2003, 00:26

Ein tristes, minimales Aufwallen von Emotionen durchfuhr den Raum. Zurückgehaltene Gefühle, die hier auf keinen Fall zum Vorschein kommen durften, da sie die ohnehin schon kühle Atmosphäre nur noch weiter abkühlen würden.
Zwanghaft versuchten die hier anwesenden Personen sich unter Kontrolle zu halten, so schwer es ihnen auch fiel. Jeder Blick, jede Bewegung wurde von den Übrigen mißtrauisch beobachtet und bewertet. Hier ging es nicht darum, ein guter Mensch zu sein. Es ging nur darum, kein schlechter Mensch zu sein.
Bei Erscheinen jeder weiteren Person im Wartebereich wird von den anderen Wartenden automatisch eine Bewertung des Neuankömmlings vorgenommen. - Nicht ungewöhnlich in unserer Gesellschaft, aber hier gingen sie noch viel weiter. Hier wurde man bereits verurteilt, bevor man auch nur "Hallo" hätte sagen können. Jeder Neuankömmling lieferte schon mir seinem Erscheinen automatisch einen, seinem Erscheinen entsprechenden, Lebenslauf mit. Also, wer man war, was man war und warum man überhaupt hier war.
Die Frage nach dem ‘warum’ konnte man sich sparen, denn alle hatten sowieso nur den einen Grund hier zu sein: Abhängigkeit.
Jedem fiel es schwer hier zu erscheinen. Die unbehagliche, steril wirkende Umgebung trägt ihr übriges dazu bei. Die hier Anwesenden gehörten nicht zu den Raubfischen im Teich. Die sich hier zusammenscharrten gehörten zu den kleinen Fischen im Teich. Wehren konnten sie sich nicht handeln konnten sie nicht, alles, was sie tun würden, würde ihre Situation nur noch verschlechtern. Das Einzige was ihnen blieb, war, sich anzupassen und die langwierige Prozedur über sich ergehen zu lassen.
Hier sagte einem keiner "Du hast nur Pech gehabt", oder "Das kann vorkommen" - man ist hier Abschaum und das lassen sie dich spüren. Man ist nichts als ein Dorn in ihrem Auge, zusätzlicher Arbeitsaufwand, der nicht nötig gewesen wäre, wenn man sich nur ein wenig mehr angestrengt hätte.
Dein Name ist irrelevant. Mehr als eine Nummer mit einem Häkchen dahinter ist man hier nicht wert.
Sie geben die Hilfe, die man braucht, aber versinken dabei so sehr in Selbstmitleid über die durch dich entstandene Arbeit, daß eigentlich sie es wären, die Hilfe benötigen.
Doch für die mildtätige Gabe, die man von ihnen empfängt, ist nicht mehr als fünf Minuten Zeit. Freude bereitet man nur dann, wenn sie einen endlich zum Nächsten weiterschicken können.
Alles, was einem bleibt, ist, es zu ertragen.

Twoflower / h. l. v. s (Aus: Twoflowers Behördengänge 96-97)

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