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Der Name sagt alles! - Hier gibt es das Neueste vom Neuen aus unserer Feder, wenn es auch alles noch aus dem letzten Jahrtausend ist... - Die jüngsten Kinder sind häufig genug auch des Schriftstellers liebste, weil beste, also: Enjoy!

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Beitragvon admin » 02.12.2003, 00:58

Für Kristin

Es war in einem Sommer vor einigen Jahren an der Kiesgrube.
Ich war vielleicht 18 Jahre alt, lag faul-genießend in der Sonne und empfand es als höchstmögliche Belastung, auf dem Bauch zu liegen, den Kopf auf die Arme gebettet, und die Sonnenstrahlen zu zählen, die über meinen Rücken strichen. Die große Hautkrebshysterie setzte erst einen Sommer später ein und so genoß ich es einfach unbeschwert, wie die Sonne mich sanft erwärmte. Volker war auch mit dabei, und Niko, glaube ich, und einige andere Leute.
Aus den Augenwinkeln sah ich zwei Frauen, oder Mädchen, oder wie auch immer, die quer durch den Baggersee auf uns zu schwammen, und Volker, der ihnen zuwinkte. Mehr als den Augenwinkel nutzte ich nicht zum Beobachten. Dafür machte die Sonne mich einfach zu träge. Die Beiden erreichten das Ufer und stiegen aus dem Wasser. Mit maximalem Aufwand hob ich meinen Kopf um sie näher anzublinzeln.
Die Eine war blond und etwas kleiner und setzte sich sofort zu Volker und plapperte munter auf ihn ein. Einige Jahre später lernte ich sie als Astrid kennen und schätzen, aber in diesem Augenblick war sie mir eindeutig viel zu laut und ich beachtete sie darum nicht weiter. Die Andere lernte ich, noch viel später, als Kristin kennen.
Ich entschloß mich dazu, daß Blinzeln sein zu lassen und mir Kristin näher anzusehen. Sie hatte eine auffallend hübsche Figur und lange, dunkle, gelockte Haare, so daß es pure Verschwendung gewesen wäre, die Augen nicht ganz zu öffnen. Ihre Augen waren dunkel, blitzten schlau und musterten ihre Umgebung. Sie wirkte auf mich im ersten Augenblick etwas kühl und manchmal blinzelte sie auf eine merkwürdig unnahbare Art, die ihre Umwelt auf eine gesunde Distanz zu halten schien und keine Angriffsfläche zuließ.
Auch Kristin setzte sich zu uns.

Ich kann mich nicht erinnern, ob ich an diesem Tag überhaupt ein Wort mit ihr gewechselt habe, dafür war ich durch die Sonne eigentlich viel zu träge, aber ich war neugierig, und beobachtete sie interessiert.
Viele Menschen verschwinden in der Masse, aber Kristin gehört zu den Menschen, die mir auch in einem übervollen S-Bahn Wagen aufgefallen wären. Sie saß sehr still da, fast schüchtern, aber hinter ihrer Stirn bewegte sich offenbar einiges, während sie scheinbar Astrids und Volkers Geplapper zuhörte. Erst einige Minuten später, als die Sonne endlich auch auf die Beiden wirkte und ihr Gespräch leiser und weniger hektisch wurde, bemerkte Astrid, daß Kristin sich schon länger quer über ihren Bauch hinweg kritisch auf ihre - ich glaube, es war eine weinrote, oder lila - Bikinihose starrte. Dabei wahrte sie weiter ihren leicht kühlen, distanzierten Gesichtsausdruck, so daß ich mich langsam fragte, ob ihr unsere Gesellschaft vielleicht nicht zusagte.
Astrid erkundigte sich bei ihr, ob etwas nicht stimmte. Darauf war ich in dem Moment auch sehr gespannt. Kristin ließ sich Zeit mit ihrer Antwort und schien mit sich und nach Worten zu ringen.
Dann antwortete sie mit leiser, aber stolzer Stimme und entwaffnender Ehrlichkeit: "Ich weiß nicht genau, aber ich glaube diese Hose ist ganz fürchterlich altmodisch..."
Dann hielt jemand für einen kurzen Moment die Zeit an. Die Erde hörte auf sich zu drehen und Kristin fing an zu leuchten und strahlte heller als alles Andere. Ihr scheinbar kühler Blick und das etwas distanzierte Auftreten bildeten die Korona einer Sonne aus Gedankenschwere und -Tiefe, Ehrlichkeit, Offenheit und Sensibilität, die sich plötzlich und überraschend durch so etwas banales wie eine Bikinihose Luft gemacht und die Welt entwaffnet hatte.
Der Augenblick verging, die Erde nahm ihre Drehung wieder auf und die Sonnenstrahlen strichen wieder über meinen Rücken. Ich glaube, ich lächelte, auf jeden Fall innerlich, und schloß, zufrieden einen besonderen Menschen getroffen zu haben, die Augen und verfolgte das Gespräch nicht weiter.


Erst Jahre später fiel mir dieser Augenblick wieder ein, und zwar nach einem Abend mit Kristin. Ich hatte ihr eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen und erklärt, daß sie einfach anders und besonders ist, auf eine Art, wie sie mir vorher noch nicht untergekommen war.
"Warum", hatte sie erstaunt gefragt und mich aussehen lassen, wie einen Trottel, weil ich es in dem Moment nicht erklären konnte. Manchmal ist es nicht einfach, direkt aus dem Herzen zu sprechen. Aber ich dachte weiter darüber nach, und am nächsten Abend erzählte mir gerade jemand in der Kneipe irgend etwas, als mir urplötzlich dieses erste Mal, daß ich Kristin traf, wieder einfiel.
Der Augenblick sagt nicht alles, aber er zeigt die Richtung an, in der ich einen besonders strahlenden Stern gesehen habe.

Jeder Mensch ist ein Stern, aber einige leuchten etwas heller als andere.


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