Das ist ja so mit der Legende: sie entstammt hauptsächlich amerikanischen Filmen, zuvorderst dem ausgezeichneten Easy Rider.

Schöner Film, schöne Geschichte.

Zurück zur erschreckenden Wirklichkeit:
Motorrad-Fahrer haben fast das ganze Jahr über die Arschkarte gezogen, oder nicht? – Das halbe Jahr können sie nicht fahren, den Rest des Jahres sollten sie nicht. Im Winter ist die Nutzung viel zu gefährlich, im Sommer sind sie immer falsch gekleidet. Entweder regnet es, dann werden sie nass, oder die Sonne knallt vom Himmel, dann schwitzen sie sich tot – spätestens nach dem Absitzen.. Lange Strecken darf man mit dem Motorrad auch nur fahren, wenn man eine hohe Leidensfähigkeit besitzt, oder extrem dicke Oberarme, denn das Geheize an der frischen Luft und gegen den Wind geht auf die Arme. In den Urlaub fahren kann man auch nur, wenn man eher reduziert reisen mag: einen Kofferraum gibt es nicht! – Da ist schon Idealismus gefragt! Von der Gefahr für Leib und Leben schon bei einem leichten Unfall möchte ich mal gar nicht erst reden…

Das ist also das Leid „normaler“ Motorrad-Fahrer. Hartes Völkchen.

Jetzt die „beinharten Super-Rockers“, die Harley-Fahrer. Freiheit und Abenteuer, und so. Ganz super.

Harley-Fahrer sind durchschnittlich (Beobachtung gestern Abend und in den letzten Jahren bei den Harley Days) Ende fünzig und tragen gerne Oberlippenbart. Sie sind von Beruf Zahnarzt oder Anwalt und kaufen sich jeden Marketing-Unsinn auf dem was mit Motorrädern abgebildet wurde.
Sie fahren Motorräder, die einen unglaublichen Krach machen und mit Vorkriegstechnik fahren. Sie sind nicht nur sehr, sehr teuer in der Anschaffung sondern zudem auch noch sehr wartungsbedürftig, weswegen man mindestens ein sechsstelliges Jahresgehalt haben sollte, um eine Harley unterhalten zu können. Da man mit den Treckern nicht lange strecken fahren möchte, schafft man (oder wahrscheinlicher: lässt schaffen!) die Maschine per Anhänger zu dem Hotel vor der Stadt („In der Stadt schlafen? – Nee, das ist so laut da…“ – Vielen Dank, Herr Treckerfahrer! Wer daran wohl schuld ist!) und fährt die letzten Meter dann selbst. Das ist Freiheit und Abenteuer, total „kreesiiii“!

Dann stellt man sein „Bike“ auf der Reeperbahn ab und setzt sich in eine Strassenkneipe.
„Sicher, ist schon spät, und so, aber Harley Days sind doch nur einmal im Jahr! Um eins muss ich aber wirklich spätestens ins Bett. Was trinken? Achja, nun, bringen sie mir noch eine Weinschrole, bitte! Etschuldigst Du mich kurz, ich will mal kurz bei Ute anrufen und hören wie’s den Enkeln geht!“

Damit das ganze nicht wie die pure Geriatrie-Veranstaltung daherkommt werden ausserdem folgende Personengruppen eingeladen:

  • Tussis. Diese müssen bereit sein, sich Bier über das enge T-Shirt zu kippen, dabei dumm zu lachen und sich auf dem Lenker eines Motorrads sitzend durch die Gegend kutschieren zu lassen. Gern gesehene Zusatzqualifikation: blonde Haare und den festen Willen, notfalls durch entblössen der Brüste ins Fernsehen zu kommen. Gut für die Kamera, gut für’s Image.
  • Stuntfahrer. Die machen dann ein paar Wheelies. Gut für die Kamera, gut für’s Image.
  • Bekloppte. Das sind die ein, zwei Dutzend Hartz4-Stammkunden, die alles Geld in nicht verkehrstüchtige aufgemotzte Harley gesteckt haben, die von der Polizei kassiert werden, sobald sie nach dem Fest versuchen die Stadt zu verlassen. Die Bekloppten meinen Den Traum(tm) Harley Davidson zu leben, der ihnen mit Easy Rider damals zugeführt wurde. Die Bekloppten freuen sich über den Neid der Anwälte, trinken sehr viel und sind sehr laut. Gut für die Kamera, gut für’s Image.
  • und ferner: die ganz Bekloppten. Die haben den Schuss echt nicht gehört und kommen mit ihrer rollenden Einbauküche, ihrer Gold Wing zum Harley Treffen. Geschmacklos. Sie werden im Fernsehen später nicht gezeigt: Opferschutz.

Und jedes Jahr kommen sie wieder die Anwälte und Zahnärzte, und sie leben den schon 36 Jahre alten Traum von Menschen, die in der Geschichte, die sie meinen, weniger als halb so alt waren wie sie und aus einer gänzlich anderen Kultur stammen.

Born to be wild, Freiheit und Abenteuer, und so. Oder wenigstens zwei Tage im Jahr so tun als ob.

Viel Spaß, Jungs. Seid bitte leise, wenn ihr geht.