Ja, ich habe noch einen Plattenspieler.

Heute war ich wieder in meinem Lieblingsplattenladen. Ein schönes Ritual. Plattenkäufer wissen, was man daran hat. Ich kam in den Laden und nickte der Verkäuferin kurz zu. Michelle Records gibt es schon seit ewig in der Grossen Stadt. Sicher, in den letzten Jahrzehnten ist es etwas banal geworden: die lästige Plastikscheibe, die CD, hat sich auch hier breitgemacht, aber nur in einer Ecke. Dort lungern also ein paar Banausen herum und wühlen träge im Plastikgammel.

Ich verstehe es nicht, was diese Menschen antreibt. Seelenloses Plastik aussen herum, glänzendes seelenloses Plastik innendrin. Keine schöne Pappe, liebevoll gestaltet, kein wunderschönes, betörendes Vinyl, schwarz wie die Sünde, voll heisser Versprechungen. Ein Tonträger, zugleich aber auch ein Organismus, der gehegt und gepflegt werden will.

Dann ist da natürlich auch noch die akkustische Überlegenheit der Schallplatte: bei Sgt. Peppers Lonely Hearts Club von den Beatles zum Beispiel, gibt es ein Stück mit einem Haufen Krach und bellender Hunde. Die Beatles hatten das ganze damals mit Hundepfeiffen unterlegt, was zur Folge hat, dass im Haus vieler Hundebesitzer ordentlich was los war, wenn die heimische Fusshupe auf einmal mit in das Gebell einstimmte!

Auf der CD-Version: Nada. Die Frequenzen werden einfach abgeschnitten. Ruhe im Zwinger, aber dafür ein beschnittenes Hörerlebnis.

Ich schlendere also an den Billigheimern vorbei, blättere mal hier, bald da in den Regalen. Entdecke schöne Sachen, und nicke zustimmend, ich entdecke böse Fehlleistungen sogenannter Künstler, die sich dem Kommerz verkauft haben, und schüttle angewidert den Kopf.

Irgendwann finde ich, was ich suche: die neue Morrissey-Scheibe!

Ab zum Tresen, bezahlen, kurz mit der Fachverkäuferin darüber einigen, dass Morrissey früher eben doch ungeahnt besser war, wie so vieles, dann raus auf die Strasse. Die Sonne scheint immer noch (siehe hier), und ich schlendere zur S-Bahn.

Wenn man Platten kauft, kann man sich – das habe ich mir nicht ausgesucht – vieler bewundernder Blicke sicher sein. „Sieh mal, er ist bei der Tradition geblieben! Früher war eben alles schöner, und wir haben es getötet, durch unseren Hunger nach billigen Plastikprodukten!“ denken die Leute. Nostalgie überfällt sie.

In der Bahn inspiziere ich das gute Stück erst einmal genauer. Ich ziehe die Tasche heraus und freue mich über das liebevolle Artwork, welches man hier noch lesen kann, keine Augenschäden durch mikroskopisch-kleine Schrift nein, nicht bei Schallplatten!

Vor mir sitzt ein 16-jähriger und verstaut seine CD-Käufe wieder in seiner Saturn-Tüte. Ich sehe, wie er leidet. Wahrscheinlich hat er nie eine Platte besessen. Die Ungnade der späten Geburt und der Eltern, die selbst immer nur eine Kompaktanlage hatten. Sie, die Spätgeborenen, haben die Welt der Schallplatten nie richtig kennengelernt, kennen sie bestenfalls aus Clubs, wo gelegentlich noch DJs sind, die tatsächlich noch von Platte mixen. Aber auch das ist selten geworden heutzutage.

Ich erreiche meinen heimatlichen Bahnhof und geniesse es, mein neues Prunkstück nach Hause zu tragen. Wieviele CD-Kinder kennen dieses Gefühl? Es ist eine Lebensart, nicht einfach nur Musik!

Ja.

Eine schöne Geschichte, und alles hat sich genau so zugetragen.

Aber ich muss etwas gestehen. Die Platte ist ein Geschenk. Für einen lieben Kerl, selbst Musiker. Und Musiker (und andere Plattenfreaks) haben einen kleinen Schatten was Vinyl angeht. Friede ihrer Masche, und so, es sei Ihnen gegönnt. Platten klingen sicher viel besser, aber wer von uns, die mit Walkman, oder später: Ipod, grossgeworden sind, kann mit dem dadurch davongetragenen Hörschaden noch die hohen Frequenzen hören? Ich jedenfalls nicht.

Ich halte MP3 immer noch für die tollste Erfindung. Und davor war’s die CD. Was soll’s, ich bin eben Konsument! Platten brauchen zuviel Platz, man muss sie ständig umdrehen, kann keine Platte durchhören, sie zerkratzen und man kann sie nicht selbst brennen. Unterwegs taugen sie auch nicht viel, im Urlaub oder im Auto.

Aber es war ein interessanter Ausflug in eine andere Welt, für den kleinen „Urlaub vom ich“ durchaus zu empfehlen. Nur: wenn ich die Platte nicht verschenken würde, sie stünde als Staubfänger in meiner Wohnung. Und dabei habe ich sogar noch einen Plattenspieler.

ps: Michelle ist tatsächlich mein Lieblingsplattenladen! Allerdings war ich da zuletzt 1989, oder 1990, am Ende meiner Hip-Hop Phase. Als Gangster noch richtige Gangster waren, Ghettos noch richtige Ghettos und Hip-Hop Videos noch ganz ohne Zeitlupe, Limousinen und schweres Goldgehänge auskamen..